Freitag, 31. August 2012

Liebe auf den ersten Blick gibt es nur im Film …

… und in Büchern.

Denn manchmal, manchmal ist der erste Satz eines neuen Buches so stark, dass man sofort weiterlesen will. Die ganze Geschichte erfahren. Das Buch kaufen.
So solls sein, Liebe auf den ersten Blick.

Das is`natürlich nicht leicht zu kreieren, denn erste Sätze müssen viele Funktionen erfüllen.
Der Leser soll im ersten Absatz in Zeit, Ort, Hauptkonflikt und Hauptfigur eingeführt werden, heißt es in Schreibschulen. Dabei soll die Erzählperspektive festgelegt, die Erzählstimme transportiert, die Atmosphäre des Buches eingefangen und ganz allgemein auf das, was folgt, eingestimmt werden … Uff.
Und das ganze dann bitte noch schön kurz, ja keine Bandwurmsätze.
Is`doch gar nicht möglich, sagt Deiner Einer.
Is`wohl möglich, sagt Meiner Einer. 
Hier kommen ein paar Beispiele von ersten Sätzen, die reinhauen.
Aber sowas von.

Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorüber, sagen sie, aber bei mir war es nicht so.“
Lauren Oliver  - Wenn du stirbst …

When I was little, my dad used to tell me, ”Will, you can pick your friends, and you can pick your nose, but you can`t pick your friend`s nose.”
John Green - “Will & Will”

An dem Tag, als ich, knietief in der Schande, nach Templeton zurückkehrte, tauchte im Flimmerspiegelsee der über fünfzehn Meter lange Kadaver eines Ungeheuers auf.“
Lauren Groff – Die Monster von Templeton

All children, except one, grow up.“
J. M. Barrie - Peter Pan

Als er viel später in einem Motel am nördlichen Stadtrand von Phoenix mit dem Rücken an die Zimmerwand gelehnt dasaß und beobachtete, wie die Blutlache sich ihm langsam näherte, fragte sich Driver, ob er einen schrecklichen Fehler begangen hatte.“
James Sallis – Driver
Tyler besorgt mir einen Job als Kellner, und dann scheibt mir Tyler eine Pistole in den Mund und sagt, als ersten Schritt zum ewigen Leben musst du sterben.“
Chuck Palahniuk - Fight Club

Mr. and Mrs. Dursley, of number four, Privet Drive, were proud to say they were normal, thank you very much.”
J.K. Rowling  – Harry Potter and the Philosphers Stone
„Ich bin also auf dem Weg zur Arbeit und bleibe stehen, um einer Taube zuzuschauen, die im Schnee mit einer Ratte kämpft, und irgend so ein Dödel will mich ausrauben!“
Josh Bazell - Schneller als der Tod
Wenn du gerne Geschichten mit einem Happy End liest, solltest du lieber zu einem anderen Buch greifen.“
Lemony Snicket – Eine Reihe betrüblicher Ereignisse

Hausaufgabe:

Wo war es bei dir Liebe auf den ersten Blick?
Geh durch dein Buchregal und schau nach. Was sind schwache Anfänge, wo findest du starke?
Schick`mir die coolen als Kommentar.


Montag, 13. August 2012

Klappentexte, Erwartungshaltung und Vorshadowing

Das Literaturkaninchen (also Meiner Einer) hat sich Gedanken gemacht über Klappentexte und die Erwartungshaltung eines Lesers.
Es is` doch so: Verlag und Autor siedeln ein Buch in einem bestimmten Genre an und unterwerfen sich damit bestimmten Konventionen, die der Leser beim Kauf des Buches auch erwartet, erfüllt zu bekommen.
Das ist ein Korsett und schnürt meine Geschichten und meine Kreativität ein!, schreit da so mancher Schreiberling.
Meinst du?
Bist du einmal in einen Film gegangen, über den du gar nichts wußtest, weil Freunde gesagt haben „Komm mit!“ und die Einladung war in letzter Sekunde und du mußtest dich beeilen, und jetzt sitzt du mit deiner Jumbotüte Popcorn und deiner Cola im Saal und das Licht geht aus und gespannt fragst du dich „Was für einen Film haben meine Kumpels da eigentlich rausgesucht?“. Liebeskomödie oder Zombiegruselschocker? Beides ist im Prinzip in Ordnung für dich, nur du willst es vorher wissen. Wenn dich Blut und Brutalität erwarten, dann willst du das vorher wissen. Wenn dich heiße Sexszenen und wilde Autoverfolgungsjagden erwarten, so willst du das ebenso vorher wissen, damit du dich anschnallen kannst.

 Genauso geht es auch dem Leser deines Buches.
Er kauft nicht irgendetwas (genauso wie du nicht in irgendeinen Film gehst. Wenn deine dusseligen Kumpels nur nicht immer so verpeilt wären und alles auf den letzten Drücker machten), er kauft etwas, weil er über heiße Sexszenen oder wilde Verfolgungsjagden oder explodierende Hochhäuser lesen will.
Um dem Leser also klar zu machen, was ihn erwartet, gibt es dann da ja den Klappentext.
Viele Autoren (vor allem von Krimi, Mystery und Thriller) haben Angst, zu viel zu verraten und belassen es dann bei einer nebulösen Beschreibung á la „Ein Killer setzt eine Kleinstadt in Angst und Schrecken.“ Könnt ihr euch darunter etwas vorstellen?
Naja, es gibt zumindest eine Richtung vor.

Als Autor solltet ihr euch aber bereits beim Schreiben darüber bewußt sein, dass ein Leser nie (niemals) unbeleckt in euren Text gehen wird. Er liest den Titel und findet das Buch in dem Regal mit der Genrebeschreibung. Er kennt den Klappentext. Er hat Rezensionen gelesen (vielleicht).
Auf jeden Fall will er in einer kurzen Form vorher wissen, worum es geht.
Zwar werden Klappentexte von der Marketingabteilung der Verlage verfasst, aber es macht Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, mit welchem Vorwissen (welcher Erwartungshaltung) der Leser an die Geschichte herangehen wird.
Und welche Erwartungshaltung ihr bei eurem Leser gerne hättet.
Denn die kann man ja steuern.


Einen der besten Klappentexte aller Zeiten finden wir bei Shakespeare.
Wie?
Der Typ mit den Pumphosen, der Theaterstücke schrieb?
Ja, genau der.
Da gab es doch noch gar keine Klappentexte.
Stimmt.
Aber es gab einen Prolog.
Und den besten aller Zeiten, den finden wir bei Romeo & Julia.
Zu Beginn des Stückes, wenn alle Elizabethaner sich in ihre roten Samtsessel gefläzt haben und ihr Popcorn in sich reinmampfen, trat ein Chor auf und erzählte dem pumphosentragenden Publikum einmal kurz, was in dem Stück alles passieren würde und was die Elizabethaner da so alles erwartete.
Das sah dann so aus:



 Chorus

Two households, both alike in dignity,
in fair Verona, where we lay our scene,
From ancient grudge break to new mutiny,
Where civil blood makes civil hands unclean,
From forth the fatal loins of these two foes
A pair of star-crossed lovers take their life;
Whose misadventured piteous overthrows
Doth with their death bury their parent`s strife.
The fearful passage of their death-marked love,
And the continuance of their parents` rage,
Which, but their children`s end, nought could remove,
Is now the two hours` traffic of our stage;
The which, if you with patient ears attend,
What here shall miss, our toil shall strive to mend.
Na, wenn einen das man nicht auf das Stück einstimmt ...

Shakespeare gibt hier nicht nur eine Einleitung in Zeit und Ort und Ausgangssituation, sondern sagt uns auch ganz klar, worauf alles hinauslaufen wird: Romeo und Julia werden sterben.
Das Stück wird mit ihrem Tod enden.
Alles in allem, kommt der Chorus am Anfang daher, wie heutzutage ein moderner Klappentext. (Naja, er ist in Reimform. Und er ist ziemlich lang.) Aber er gibt uns alles, was wir wissen wollen, nennt die Hauptfiguren (a pair of starcrossed lovers), das Setting (fair Verona, where we lay our scene), Hintergrund (Bürgerkrieg:Civil blood makes civil hands unclean) und den Hauptkonflikt (zwei verfeindete Familien, deren Kinder sich ineinander verlieben) und natürlich das Genre: Tragödie. Denn nur der Tod der beiden Liebenden kann ihre verfeindeten Häuser versöhnen.  
Hatte Shakespeare Angst zu viel zu verraten?  
Wohl kaum.
„To the heck with suspense!“  
Vielleicht war es das, was Vonnegut meinte.

Mittwoch, 1. August 2012

Show, don`t tell + Please, don´t state the obvious !

Show, don`t tell. Von dieser Regel hört man als Autor ja immer wieder. Was damit gemeint ist, ist ganz einfach:
Es bedeutet „Zeigen, nicht behaupten.“ Und das geht so:


„Er war wütend.“ Ist eine Behauptung.
„Er schlug mit der Faust auf den Tisch.“ Ist zeigen; durch die Handlung wird gezeigt, dass die Figur wütend ist.
Er schlug wütend auf den Tisch.“ Ist doppeltgemoppelt. Darum sollte Autor Adjektive meiden, denn sie beinhalten oft in sich eine Behauptung.
Show/Zeigen sollte man dann noch in eine „Beschreibung“ einbetten:
„Er schlug so heftig auf den Tisch, dass das Wasserglas überschwappte.“
So hat man in diesem Satz die Behauptung, dass eine Figur wütend sei, umgangen und gleichzeitig etwas geschrieben, das der Leser sich bildlich vorstellen kann. Der Leser ist bei diesen zwei Sätzen viel mehr drin und dabei, als bei der Behauptung: „Er war wütend.“


Oder, um es mit Anton Chekhov zu sagen: “Don't tell me the moon is shining; show me the glint of light on broken glass.”


 Show, don`t tell scheint sich also in erster Hinsicht an die sprachliche Ebene zu richten.
Doch die Regel hat auch Auswirkungen auf den Inhalt, nämlich darauf, was in einer Szene gezeigt wird.
Meiner Einer muß da an eine Szene aus dem Film „Grosse Point Blank“ denken.
Der Protagonist (schon wieder John Cusack, na sowas) besucht auf dem Friedhof das Grab seines Vaters. Dass es sich um das Grab seines Vaters handelt, erkennt Zuschauer an der Inschrift auf dem Grabstein. Dass der Protagonist seit Jahren nicht hier gewesen ist, wissen wir aus der Handlung zuvor. Jetzt erwarten wir etwas über die Vergangenheit von John Cusacks Charakter und seine Beziehung zu seinem Vater zu erfahren. Einen Grund, warum er zu dem geworden ist, was er ist (ein Auftragskiller). Klassischerweise erwarten wir, dass John am Grab einen Monolog hält. Dass er mit seinem toten Vater spricht und seine Wut rausläßt. Doch John Cusack spricht nicht.
  Er zieht eine Flasche Whiskey aus seiner Manteltasche und gießt sie über dem Grab aus.
Dann geht er.
Gut, was?
Anstatt uns zu sagen, was das Problem mit seinem Vater war, was ihn dazu gebracht hat, als Jugendlicher abzuhauen und eine fragwürdige Karriere zu starten, möglicherweise sogar in einem Flashack, zeigt der Film es uns, in einer einfachen, symbolischen, für alle verständlichen Handlung.
Alkohol auf dem Grab seines Vaters.
Dieses Bild braucht keine Worte.


 Schreibtipp: Haltet in euren Geschichten nach solchen Momenten Ausschau. Wo könnt ihr einen Dialog, eine Info, eine Rückblende oder eine andere Begebenheit in eine symbolische Handlung verpacken, in ein Bild, das keine Erklärung braucht? Habt ihr so einen Moment? Nutzt ihn!



Bei der Planung einer Geschichte hat man auch immer strukturelle Entscheidungen zu treffen.
Wie zeige ich etwas?
Wie kommt der Hauptcharakter an eine bestimmte Info? In einem Dialog oder in einem Brief? Wird etwas dem Leser nacherzählt oder ist er live dabei?
Tja.
Nicht immer leicht, der Wal.
Aber was ihr auch tut: Macht es nicht doppelt-gemoppelt.
Die Szene mit John Cusack ist deshalb so stark, weil er sie nicht kommentiert.
Das Wasserglas oben schwappt über, ohne dass man dazuschreibt, er war wütend.
Traut euch.



Wenn ihr doppelt-moppelt, seid ihr bei meiner neuen Lieblingsserie (ihr wißt schon.).
Da passiert nämlich grad mal folgendes:
Nach einem Streit zwischen den Figuren, bei denen der Zuschauer live dabei war, nimmt der Kameramann (nicht vergessen, er ist nicht da!) den Streithahn beiseite, so dass dieser dem Zuschauer noch einmal ganz genau erklären kann, was seine Beweggründe gerade waren.
Also, ich war sauer, weil der Typ mit meiner Freundin rumgemacht hat und deswegen habe ich gefordert, dass sie alle hier aus der WG ausziehen und ich bin traurig aber in Wahrheit bloß eifersüchtig, das werde ich aber niemals laut zugeben.“
Auwei.


 Was lernt Romanautor aus all dem ?


Show, don´t tell but PLEASE, don´t state the obvious !