Montag, 13. August 2012

Klappentexte, Erwartungshaltung und Vorshadowing

Das Literaturkaninchen (also Meiner Einer) hat sich Gedanken gemacht über Klappentexte und die Erwartungshaltung eines Lesers.
Es is` doch so: Verlag und Autor siedeln ein Buch in einem bestimmten Genre an und unterwerfen sich damit bestimmten Konventionen, die der Leser beim Kauf des Buches auch erwartet, erfüllt zu bekommen.
Das ist ein Korsett und schnürt meine Geschichten und meine Kreativität ein!, schreit da so mancher Schreiberling.
Meinst du?
Bist du einmal in einen Film gegangen, über den du gar nichts wußtest, weil Freunde gesagt haben „Komm mit!“ und die Einladung war in letzter Sekunde und du mußtest dich beeilen, und jetzt sitzt du mit deiner Jumbotüte Popcorn und deiner Cola im Saal und das Licht geht aus und gespannt fragst du dich „Was für einen Film haben meine Kumpels da eigentlich rausgesucht?“. Liebeskomödie oder Zombiegruselschocker? Beides ist im Prinzip in Ordnung für dich, nur du willst es vorher wissen. Wenn dich Blut und Brutalität erwarten, dann willst du das vorher wissen. Wenn dich heiße Sexszenen und wilde Autoverfolgungsjagden erwarten, so willst du das ebenso vorher wissen, damit du dich anschnallen kannst.

 Genauso geht es auch dem Leser deines Buches.
Er kauft nicht irgendetwas (genauso wie du nicht in irgendeinen Film gehst. Wenn deine dusseligen Kumpels nur nicht immer so verpeilt wären und alles auf den letzten Drücker machten), er kauft etwas, weil er über heiße Sexszenen oder wilde Verfolgungsjagden oder explodierende Hochhäuser lesen will.
Um dem Leser also klar zu machen, was ihn erwartet, gibt es dann da ja den Klappentext.
Viele Autoren (vor allem von Krimi, Mystery und Thriller) haben Angst, zu viel zu verraten und belassen es dann bei einer nebulösen Beschreibung á la „Ein Killer setzt eine Kleinstadt in Angst und Schrecken.“ Könnt ihr euch darunter etwas vorstellen?
Naja, es gibt zumindest eine Richtung vor.

Als Autor solltet ihr euch aber bereits beim Schreiben darüber bewußt sein, dass ein Leser nie (niemals) unbeleckt in euren Text gehen wird. Er liest den Titel und findet das Buch in dem Regal mit der Genrebeschreibung. Er kennt den Klappentext. Er hat Rezensionen gelesen (vielleicht).
Auf jeden Fall will er in einer kurzen Form vorher wissen, worum es geht.
Zwar werden Klappentexte von der Marketingabteilung der Verlage verfasst, aber es macht Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, mit welchem Vorwissen (welcher Erwartungshaltung) der Leser an die Geschichte herangehen wird.
Und welche Erwartungshaltung ihr bei eurem Leser gerne hättet.
Denn die kann man ja steuern.


Einen der besten Klappentexte aller Zeiten finden wir bei Shakespeare.
Wie?
Der Typ mit den Pumphosen, der Theaterstücke schrieb?
Ja, genau der.
Da gab es doch noch gar keine Klappentexte.
Stimmt.
Aber es gab einen Prolog.
Und den besten aller Zeiten, den finden wir bei Romeo & Julia.
Zu Beginn des Stückes, wenn alle Elizabethaner sich in ihre roten Samtsessel gefläzt haben und ihr Popcorn in sich reinmampfen, trat ein Chor auf und erzählte dem pumphosentragenden Publikum einmal kurz, was in dem Stück alles passieren würde und was die Elizabethaner da so alles erwartete.
Das sah dann so aus:



 Chorus

Two households, both alike in dignity,
in fair Verona, where we lay our scene,
From ancient grudge break to new mutiny,
Where civil blood makes civil hands unclean,
From forth the fatal loins of these two foes
A pair of star-crossed lovers take their life;
Whose misadventured piteous overthrows
Doth with their death bury their parent`s strife.
The fearful passage of their death-marked love,
And the continuance of their parents` rage,
Which, but their children`s end, nought could remove,
Is now the two hours` traffic of our stage;
The which, if you with patient ears attend,
What here shall miss, our toil shall strive to mend.
Na, wenn einen das man nicht auf das Stück einstimmt ...

Shakespeare gibt hier nicht nur eine Einleitung in Zeit und Ort und Ausgangssituation, sondern sagt uns auch ganz klar, worauf alles hinauslaufen wird: Romeo und Julia werden sterben.
Das Stück wird mit ihrem Tod enden.
Alles in allem, kommt der Chorus am Anfang daher, wie heutzutage ein moderner Klappentext. (Naja, er ist in Reimform. Und er ist ziemlich lang.) Aber er gibt uns alles, was wir wissen wollen, nennt die Hauptfiguren (a pair of starcrossed lovers), das Setting (fair Verona, where we lay our scene), Hintergrund (Bürgerkrieg:Civil blood makes civil hands unclean) und den Hauptkonflikt (zwei verfeindete Familien, deren Kinder sich ineinander verlieben) und natürlich das Genre: Tragödie. Denn nur der Tod der beiden Liebenden kann ihre verfeindeten Häuser versöhnen.  
Hatte Shakespeare Angst zu viel zu verraten?  
Wohl kaum.
„To the heck with suspense!“  
Vielleicht war es das, was Vonnegut meinte.

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