Donnerstag, 15. November 2012

Flashbacks und Flashforwards



 

                                                                                                                                             (Bildquelle: http://imgfave.com/)



Das Ding mit dem Leben ist nun einmal dieses: Alles passiert uns in chronologischer Reihenfolge.
Wäre es nicht interessanter, wenn es das nicht täte?
Manchmal lehnen wir uns zurück und malen uns aus, wie die Zukunft sein wird. Und ein andermal schwelgen wir in Erinnerungen an vergangene Zeiten.
Das Feine ist: du als Autor kannst genau das auch in deiner Geschichte tun.
Einen Sprung in die Zukunft nennt der Herr Autor Flashforward.
Einen Rückblick in die Vergangenheit nennt er Flashback.
Aber nur, wenn diese Sprünge richtige ausgearbeitete Szenen sind, die den Leser alles live miterleben lassen, so als würde es gerade vor ihren Augen geschehen.

Ein Beispiel: „Die Kabine sah der Flugzeugkabine eines gewöhnlichen kommerziellen Passagierflugzeuges verblüffend ähnlich – mit der einzigen Ausnahme, dass es keine Fenster gab, sehr zu Langdons Beunruhigung. Er hatte sein Leben lang unter einer schwach ausgeprägten Klaustrophobie gelitten – die Folge eines Kindheitserlebnisses, das er niemals ganz überwunden hatte.“ – aus Dan Brown „Illuminati“
Dies ist kein Flashback. Denn der Autor zeigt uns dieses Kindheitserlebnis nicht, er erwähnt es nur. Der Autor Dan Brown hätte an dieser Stelle einen Flashback einfügen können, indem er den Leser detailliert und genau an jenem Kindheitserlebnis teilnehmen lässt, und dann zu der Szene in dem Flugzeug zurück schneidet.
Tut er aber nicht.
Warum?
Hätte es nicht eine stärkere Wirkung auf den Leser gehabt? Würde er an dieser Stelle, wenn er die Angst und die Bedrohung in der Kindheit Langdons mitdurchlebt hätte, nicht viel besser nachvollziehen können, wie die Figur Langdon sich jetzt in dieser engen Flugzeugkabine fühlt?
Ja, würde er.
Und damit haben wir schon einen der Hauptfunktionen eines Flashbacks entdeckt: Er deckt Motivationen und Hintergründe auf und bindet damit den Leser emotional stärker an die Figuren.
Aber Dan Brown hat sich an dieser Stelle dagegen entschieden, denn Flashbacks haben auch einen Nachteil: sie unterbrechen den Haupterzählstrang und verlangsamen somit die Vorwärtsbewegung einer Geschichte.
Deswegen will gut überlegt sein, ob man mit dem Flashforward - oder Flashbackwardbutton spielt.

Beispiel 2: „Nicht viele Kinder konnten von sich sagen, dass sie sich an den Tag erinnerten, an dem sie ihren Vater kennengelernt hatten.
Anders Vittoria Vetra.
Sie war acht Jahre alt gewesen und hatte gewohnt, wo sie immer gewohnt hatte: im Orfanotrofio die Siena, einem katholischen Waisenhaus in der Nähe von Florenz, ausgesetzt von Eltern, die sie niemals gekannt hatte. Es hatte geregnet an dem Tag. Die Nonnen hatten sie zweimal zum Abendessen gerufen, doch wie stets hatte sie getan, als höre sie nichts. Sie lag draußen im Hof und starrte die Regentropfen an … spürte, wie sie von ihnen getroffen wurde … versuchte zu raten, wo der nächste treffen würde. Die Nonnen riefen erneut und drohten, dass eine Lungenentzündung einem halsstarrigen Kind wie ihr die Neugier auf die Natur schon austreiben würde. Ich kann nichts hören, hatte Vittoria gedacht. Sie war durchnässt bis auf die Haut, als ein junger Priester kam, um sie zu holen. Sie kannte ihn nicht, er mußte neu sein. […] Der Priester heißt Leonardo und die beiden kommen ins Gespräch. Nach einer Weile fragt er:[…] „Möchtest du, das ich dich adoptiere?“, fragte Leonardo.
„Was bedeutet adoptieren?“
Vater Leonardo erklärte es ihr.
Vittoria drückte sich volle fünf Minuten vor Freude weinend an ihn. „Ja! Oh ja!“
Leonardo sagte ihr, dass er für eine Weile fort sein würde, um in der Schweiz ein neues Heim für sie beide einzurichten, doch er versprach, sie in spätesten sechs Monaten zu holen. Es war die längste Zeit in Vittorias Leben, doch Leonardo hielt Wort. Fünf Tage vor ihrem neunten Geburtstag zog sie nach Genf.“-  aus Dan Brown „Illuminati“
Habt ihr es gemerkt?
Die Szene, wie sie ihren Adoptivvater das erste Mal getroffen hat, ist ausführlich beschrieben, mit fallenden Regentropfen und allem, so als erlebe man sie direkt mit. Inklusive ausgearbeitetem Dialog. (Auch wenn ich ihn nicht in seiner ganzen Länge wiedergegeben habe).
Das ist ein Flashback.

Flashbacks können unterschiedliche Längen haben, von einer einzigen Szene in nur vier oder fünf Zeilen, bis hin zu ganzen Kapiteln.
 Markiert werden sie durch einen Wechsel in der Erzählzeit.
Wer also seine Geschichte im Präsens schreibt, muss in die Vergangenheitsform wechseln, und wer in der Vergangenheitsform schreibt, muss in die Vorvergangenheit (Plusquamperfekt) wechseln. Da sich das Plusquamperfekt über längere Zeilen sehr sperrig liest (all die „hatte gesagt“ und „hätte gemacht gehabt gewollt“ will ja keiner) mogelt sich Herr Autor nach wenigen Sätzen in die einfache Vergangenheitsform zurück und nur zum Ausstieg wieder in das Plusquamperfekt.
Guckt euch das ruhig mal an, wie der Dan Brown das macht. Der Schummler.

So, und was hat er nun davon, dass er uns das Mädchen im Regen und ihre erste Begegnung mit ihrem Adoptivvater zeigt? Hätte er das nicht auch zusammenfassen können, anstatt fünf Seiten dafür zu opfern?
Ja, hätte er.
Aber er hat sich bewusst dafür entschieden, uns - dem Leser - das ausführlich und live zu zeigen.
Denn jetzt ist der Leser mit einem guten Stück Informationen über die Figur der Vittoria ausgestattet und kann sich viel besser in sie hineinversetzen und somit Empathie für sie empfinden. Denn rate mal, was gleich in der Haupthandlung geschehen wird, wen der Leser treffen wird und wem als nächstes etwas ganz übles (oder gar tödliches) geschieht?
Genau.
Dem Leser musste diese Szene gezeigt werden, damit er emotional genug mit der Handlung verstrickt ist, um Anteilnahme an dieser neu eingeführten Figur zu empfinden.

Wenn du Schwierigkeiten hast, dich zu entscheiden, ob ein Flashback überflüssig oder angebracht ist, dann hilft es dir vielleicht, dir deine Geschichte als Film vorzustellen.
Denn da kommt die Technik schließlich ursprünglich auch her.
Im Film wurden Szenen, die in die Erinnerung oder Vergangenheit einer Figur führen früher oft mit einem hellen Aufblitzen eingeleitet (Daher das Wort „Flash“-back). Später bediente man sich anderer visueller Hinweise. (Wechsel zu schwarz-weiß, blurred/ verschwommen, in Sepia-Tönen, mit wackeliger Handkamera gedreht ect.)
Heutzutage verzichtet man häufig auf solche visuellen Zeichen und erwartet, dass der Zuschauer aus dem Zusammenhang versteht, wo die Szene zeitlich einzuordnen ist.
Ja, Deiner Einer hört richtig.
In modernen Filmen werden Szenen häufig ohne einleitende Erklärung oder Überleitung aneinander geschnitten, die zeitlich nicht zusammengehören, und der Zuschauer darf dann raten, wo im Erzählstrang er sich befindet.
Das ist ein beliebtes Mittel zur Spannungserzeugung.
Gerade gesehen: Die Folgen der Zombie-Shocker-Apokalypsen-Serie „Walking Dead“ beginnen oft mit einem Flashback oder einem Flashforward.
Auch „How I met your mother“ springt fröhlich in den Zeiten.
Die Autoren von „How I met your mother“ spielen sogar sehr viel mit ihren „Stop“ und „Forward“ und „Fastbackward“-Buttons.
Genau genommen ist alles in How I met you mother Erzählte ein Flashback, denn die Handlung beginnt jedes Mal damit, dass ein Mann seinen Kindern erzählen will, wie er ihrer Mutter das erste Mal begegnet ist. Sämtliche darauf gezeigte Handlung spielt also in der Vergangenheit, wobei es innerhalb dieses Flashbacks weitere Flashbacks innerhalb von Flashbacks geben kann, sowie Flashforwards mit Blicken in die Zukunft.
Cool?
Ein Allwissender Erzähler kann sowas.

Wenn du das auch können willst, dann leg die Pfoten auf den Button, schneide deine Geschichte in viele kleine Häppchen und frage dich, welche Szenen du in deinem Roman drin haben willst, welche unbedingt ausführlich gezeigt werden müssen, und welche als Nacherzählung kurz zusammengefasst werden können.
Welche gar nicht gezeigt werden brauchen.
Welche man vorverlegen kann und welche mitten in der Action einschieben.
Das nennt man dann „Nicht-Lineares Erzählen“.

Nicht-Lineares Erzählen ist wie das Zusammenstellen eines Mixtapes.
Vorspulen bis zum Lieblingslied.
Auf Seite B wechseln, zu dem anderen Lied, das so schön dazu passt und Erinnerungen an einen heißen Sommer wachruft.
Zurückspulen zum Anfang.

Stories can be perfect, when you know how to play them well.

2 Kommentare:

  1. Super geschrieben :) Ich finde auch Kino&Literatur vergleich ganz gut gelungen. Ich war sogar kurz davor nochmal Iluminati zu blättern.

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    1. Hallo Kollege Wurm,
      freut mich, dass dir mein Beitrag gefällt.
      Aber Illuminati muss man deswegen nicht unbedingt lesen ;)

      Herzliche Grüße

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