Freitag, 31. Januar 2014

Tempus Fugit Teil II


...oder: Was ist das Epische Präteritum?








Beim letzten Mal hat sich Meiner Einer Gedanken über Erzählzeiten gemacht (und über graue Haare.) Der Autor hat nämlich die Wahl zwischen zwei Zeitformen, dem Präteritum oder dem Präsens. (Theoretisch kann ein Autor natürlich machen, was er will und sogar alles im Perfekt schreiben oder im Futur II. Aber lassen wir den Unfug.)
Das Präteritum ist die „natürliche“ Erzählzeit, aber das Präsens inzwischen auf dem Vormarsch. Besonders bei Jugendbuchbestsellern.

Gönnen wir uns doch einmal den Spaß und versetzen den Anfang von
Die Tribute von Panem“ ins Präteritum:

Als ich aufwachte, war die andere Seite des Bettes kalt. Ich streckte die Finger aus und suchte nach Prims Wärme, fand aber nur das raue Leinen auf der Matratze. Prim musste schlecht geträumt haben und zu Mutter geklettert sein. Natürlich. Heute war der Tag der Ernte.“

Und schon taucht hier die erste Schwierigkeit auf. 
Heute war der Tag der Ernte ist rein grammatikalisch betrachtet falsch. Auf das Zeitwort Heute kann logisch kein Verb im Präteritum, also war, folgen.
Warum aber ist Heute war der Tag der Ernte hier dennoch richtig?

Weil es sich hierbei um ein Werk der Fiktion handelt, und in der Fiktion verwenden wir nicht das grammatikalische Präteritum, sondern das sogenannte epische Präteritum.


Dadurch dass der gesamte Text ins Präteritum gesetzt wird (weil es einen Erzähler gibt, der über etwas berichtet, dass vor langer Zeit irgendwann passiert ist) verliert das Präteritum seine grammatikalische Funktion. Die Vergangenheitsform bedeutet in einer fiktiven Welt nicht länger, dass es sich um Vergangenes handelt, sondern wird (nach einer Weile des „Hineinlesens“) zur Gegenwart. Das Präteritum verliert "seine grammatische Funktion, das Vergangene zu bezeichnen". (vgl. Käthe Hamburger, Die Logik der Dichtung).
Und dadurch ist ein Satz wie Heute war der Tag der Ernte auf einmal möglich.
Und er stößt dem Leser nicht einmal auf. Im Gegenteil. Das epische Präteritum ist für uns als Leser ein Zeichen dafür, dass wir es mit einer Fiktion, also einer Geschichte, zu tun haben. Es ist ein Zeichen für uns, uns zurückzulehnen und zuzuhören. Es war einmal


Was machen wir aber, wenn wir etwas bezeichnen wollen, das vor den Ereignissen in der Vergangenheit stattgefunden hat? Also in der Vorvergangenheit liegt?
Dann müssen wir uns des Plusquamperfekts bedienen.
Dadurch, dass in einer Geschichte eine (fiktive) Gegenwart im Tempus der Vergangenheit erzählt wird, "verschiebt" sich das gesamte Zeitgefüge in der erzählerischen Fiktion. Wenn eine Geschichte im Präteritum erzählt wird, muss eine vergangene Handlung, also etwas bereits vorher Geschehenes, logischerweise im Plusquamperfekt erscheinen.
Beispiel: 

"Am Nachmittag kam (Präteritum) Besuch. Am Vormittag hatte (Plusquamperfekt)sie deswegen noch ihr Zimmer aufgeräumt. Gestern Abend hatte es dort noch ausgesehen wie Sau." 

Beides, der Vormittag und Gestern, liegen (aus der Sicht der Figur) in der Vergangenheit; gestern ist sogar noch länger her. Dennoch gibt es keine andere Zeitform, mit der wir das Vor-Vor- Vergangene ausdrücken könnten. Beides muss daher ins Plusquamperfekt versetzt werden.
Das führt dann schnell zu sehr vielen hatte und hatte gemacht gehabt in einem Text. 
Das ist unschön, klingt nicht gut, ist sperrig und sieht doof aus.
Deswegen bedient sich der kluge Autor eines Tricks, und mogelt sich in Rückblenden aus dem Plusquamperfekt nach ein paar Sätzen wieder hinaus. Er rutscht einfach rüber ins Präteritum und wenn er die Rückblende beendet, kennzeichnet er den Übergang durch ein erneutes, kleines hatte und macht dann mit der Standarterzählzeit (Präteritum) weiter. 

Haben wir uns dagegen für eine Erzählung im Präsens entschieden, so setzen wir Rückblenden oder Ereignisse, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, nicht ins Präteritum (wie man meinen könnte), sondern ins Perfekt. 
Siehe Suzanne Collins:Die Tribute von Panem. Tödliche Spiele: Band 1

Vor Prims Knien hockt(Präsenz)der hässlichste Kater der Welt und hält Wache. Eingedrückte Nase, ein halbes Ohr weg, Augen von der Farbe eines fauligen Kürbisses. Prim hat (Perfekt) ihn Butterblume genannt, sie beharrt darauf, dass das schlammgelbe Fell exakt so aussieht wie die leuchtende Blume. Der Kater hasst mich. Misstraut mir zumindest. Obwohl es Jahre her ist, erinnert er sich bestimmt immer noch daran, wie ich versucht habe (Perfekt), ihn in einem Kübel zu ertränken, als Prim ihn mit nach Hause brachte. Ein mageres Kätzchen, den Bauch voller Würmer, das Fell ein Tummelplatz für Flöhe. Das Letzte, was ich damals brauchen konnte, war ein weiteres Maul, das gefüttert werden wollte. Doch Prim hat(Perfekt) so lange gebettelt und geweint, dass wir ihn einfach behalten mussten. Es ging gut. Meine Mutter hat (Perfekt)ihn von den Parasiten befreit und er ist der geborene Mäusejäger. Fängt gelegentlich sogar eine Ratte. Manchmal, wenn ich Wild ausnehme, werfe ich Butterblume die Innereien hin. Dafür faucht er mich nicht mehr an.“


Und jetzt kommst du:
Wie müsste das Ganze lauten, wenn die Geschichte im Präteritum geschrieben worden wäre?


Hausaufgabe: Kopiere die kurze Passage aus „Die Tribute von Panem“ und setze sie ins Epische Präteritum.

(Die Auflösung, wie es „richtig“ gemacht werden muss, und das es mehr als eine Lösung gibt, erfährst du beim nächsten Mal.)

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