Freitag, 7. Juli 2017

Mystery, Suspense und Dramatic Irony - 3 Spannungstechniken

Mystery, Suspense und Dramatic Irony

 

Mein letzter Post über Prologe und Epiloge hat mich auf etwas gebracht. Wie kann es sein, dass man einen Teil der Handlung (im Prolog) vorweg nimmt und dennoch — oder gerade dadurch — Spannung ensteht?
Ich habe ein wenig nachgeforscht und möchte euch hier meine Erkenntnisse vorstellen:
Es gibt 3 Arten von „Informationstechnik“, die ihr in jeder Art von Geschichte einsetzen könnt. Die Frage in jeder Story ist ja, wieviel erzähle ich dem Leser und wieviel halte ich ihm vor? Der Leser bleibt gemeinhin aus zwei Gründen bei der Handlung:   Neugierde auf den weiteren Verlauf der Handlung  und Identifikation mit der Hauptfigur. 
 
Nun könnt ihr den Leser auf 3 verschiedene Arten bei der Stange halten:

Mystery = Der Leser weiß weniger als die (Haupt-)Figur
Suspense = Der Leser weiß genauso viel wie die (Haupt-)Figur
Dramatic Irony = Der Leser weiß mehr als die (Haupt-)Figur

(*Diese Begriffe sind nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen englischsprachigen Genres, oder mit anderen Techniken aus dem Drehbuchbereich ect. Sie meinen hier ein Stilmittel, wie Informationen dem Leser gegeben (oder vorenthalten) werden und sind angelehnt an Robert McKee Verwendung der Begriffe. Ihr könnt gerne eigene Worte dafür finden.)

Mystery


Der Leser weiß weniger als die Hauptfigur.
Das bedeutet, der Erzähler hält dem Leser mit Absicht Informationen vor, macht nur Andeutungen (vor allem zur Hintergrundgeschichte) und ruft auf diese Weise viele Fragen im Kopf des Lesers hervor. Mit diesem Stilmittel „Mystery“ spricht man vor allem die Neugierde des Lesers an. Dadurch dass die Hauptfigur mehr weiß als der Leser, wird der Leser oft im Unklaren gelassen, was die Hauptfigur plant, wie sie zu einer Erkenntnis oder einem Hinweis gelangt ist, was in der Vergangenheit geschehen ist oder welche Leichen sich sonst noch im Keller verbergen. Durch Auslassungen und absichtliches Verschweigen wird der Leser auf falsche Fährten gesetzt und das Sammeln von Informationen, die wie Puzzleteile zusammengesetzt werden müssen, bereiten dem Leser Vergnügen und spannen ihn auf die Folter. Oft dreht sich die Handlung um ein einziges großes Geheimnis und die Aufdeckung am Ende ist ein großer Twist.
Am deutlichsten wird dies natürlich im Krimi angewandt, wo der Meisterdetektiv längst einen Verdächtigen hat, dem Leser aber nichts von diesem Verdacht mitteilt und er selber anhand der gesammelten Beweise mitraten muss, bis es zur Auflösung am Ende bei der Dingfestmachung des Täters kommt. Erst dann verrät der Meisterdetektiv seinen Lesern, wie er zu seiner brillanten Schlussfolgerung gekommen ist.
Aber auch in anderen Genres kann die „Mystery“-Technik angewendet werden. So steht in Spannungs-Romanen häufig der Satz: „Er hatte einen Plan!“, ohne dem Leser die Details dieses Plans zu erläutern. Man liest weiter, um herauszufinden, was die Hauptfigur geplant hat und wie sie sich aus ihrer scheinbar ausweglosen Situation hinausmanövriert.
Diese Technik benutzt man häufig bei Ich-Erzählern, die dem Leser aus Scham oder Hinterlist Fakten aus ihrer Vergangenheit vorenthalten, beim Allwissenden Erzähler oder Erzählern, die aus der Rückschau heraus berichten, und ganz besonders natürlich beim "Unzuverlässigen Erzähler".
Die Leser im Dunkeln zu lassen und die Figuren mehr wissen zu lassen als den Leser, ist eine sehr gute Taktik, um zu ködern und neugierig zu machen.

Suspense


Der Leser weiß genauso viel wie die Hauptfigur.
Dies ist wahrscheinlich die am häufigsten gewählte Spannungstechnik und aus gutem Grund, denn wenn Leser und Hauptfigur auf demselben Wissensstand sind, kann sich der Leser am besten mit der Hauptfigur identifizieren. Die Spannung in der Handlung entsteht aus der Frage „Was wird als nächstes passieren?“ und lässt den Leser mitfühlen und ihn sich fragen, wie er selbst sich in dieser Situation verhalten würde. Der Meisterdetektiv beeindruckt uns durch sein Wissen, aber wir können uns nie ganz mit ihm identifizieren, deswegen distanziert die Mystery- Erzähltechnik, wohingegen „Suspense“ uns ganz und gar in die Schuhe der Hauptfigur versetzt. Diese Form eignet sich besonders für Ich-Erzähler (im Präsens) oder die personale Erzählform (im Präsens). Jedes Ereignis und jede Wendung kommt für die Figur genauso überraschend wie für den Leser. Plötzliche dramatische Ereignisse entfalten hier die größte Wirkung und am meisten Mitgefühl.
Sobald aber eine weiterer Perspektivträger außer der Hauptfigur hinzukommt, z.B. durch zwei sich abwechselnde Figuren (wie häufig in Liebesgeschichten oder Thrillern), begibt der Leser sich bereits in die Haltung der „dramatic Irony“ (im deutschen auch tragische Ironie genannt). Denn durch den zusätzlichen Blickwinkel weiß der Leser stets mehr als die einzelne Figur.

Dramatic Irony


Der Leser weiß mehr als die Hauptfigur.
Das bedeutet, dass Leser in den Ereignissen der Figur voraus sind oder sogar den Ausgang der Handlung kennen. Während in „Suspense“ der Leser sich über den Fortgang der Handlung wundert und sich Sorgen um das Wohlergehen der Hauptfigur macht und sich fragt, wie das alles endet, so bangt der Leser in der Haltung der „dramatic irony“ bei dem Wissen um das drohende Schicksal und hat Mitleid für die Hauptfigur. Der Leser möchte beim Lesen wie im Kasperletheater am liebsten der Figur zurufen: „Tu das nicht!“, während er ohnmächtig zusehen muss, wie die Hauptfigur der Todesgefahr geradewegs in die Arme läuft.
Was zunächst einmal paradox klingt (dem Leser zu sagen, was als nächstes passiert oder wie alles endet) sorgt aber gerade durch dieses Mitwissen zu einem besonders hohen Spannungsgrad, weswegen diese Technik häufig in Thrillern aber auch in Dramen/Tragödien Anwendung findet.
Z.B. kann der Erzähler seine Leser wissen lassen, dass die Figur einen Fehler begeht, er kann beschreiben, was gleichzeitig an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit geschieht und was die Bemühungen des Hauptfigur zunichtemachen wird, er kann die Leser in die Pläne des Antagonisten einweihen oder ihm Blicke in die Gedanken des Love Interests gewähren und so verraten, ob der Angebetete Gefühle für unsere Hauptfigur hegt oder nicht. Er kann die Handlung vorspulen und in einem Flashforward dem Leser Einblicke auf zukünftige Ereignisse gewähren oder dem Leser alles über den Gegenspieler verraten, was die Hauptfigur nicht weiß. Dafür braucht es nicht unbedingt einen Allwissenden Erzähler oder einen Ich-Erzähler, der im Rückblickberichtet, auch wechselnde Perspektivträger oder nicht-lineares Erzählen versetzt den Leser in „dramatic irony“.
Diese Technik wird schon seit vielen Jahrhunderten benutzt, schon in „Oedipus Rex“ befanden sich die Zuschauer in einer Haltung der tragischen Ironie, denn die Sage, auf der das Stück beruht, war so bekannt, dass alle im Zuschauerraum wussten, dass Oedipus seine Mutter schwängern und seinen Vater ermorden wird. Die Spannung entstand daraus, sich zu fragen, wie es dazu kommen konnte.
Wie?“ und „Warum?“ halten die Neugierde genauso bei der Stange, wie das Grauen um das Wissen, dass etwas Schlimmes geschehen wird.

Alfred Hitchcock erklärt den Unterschied in der Wirkung mit einem berühmten Beispiel — der Bombe unter dem Tisch — in seinem Gespräch mit Francois Truffaut*:

„Wir reden miteinander, vielleicht ist eine Bombe unter dem Tisch, und wir haben eine ganz gewöhnliche Unterhaltung, nichts Besonderes passiert, und plötzlich, Bumm, eine Explosion. Das Publikum ist überrascht. (..) Die Bombe ist unter dem Tisch und das Publikum weiß es. Nehmen wir an, weil es gesehen hat, wie jemand sie dort hingelegt hat. Das Publikum weiß, dass die Bombe um ein Uhr explodieren wird und jetzt ist es 12 Uhr 55 - man sieht eine Uhr. (…) Im ersten Fall hat das Publikum fünfzehn Sekunden Überraschung beim Explodieren der Bombe. Im zweiten Fall bieten wir ihm fünf Minuten Hochspannung.“ -  Francois Truffaut: "Mr Hitchcock, wie haben Sie dasgemacht?“*-Seite 64
(*Alfred Hitchcock nennt den Unterschied hier „Surprise“ und „Suspense“.)

Diese Technik wird aber auch viel im Bereich der Komödie eingesetzt, bei der der Zuschauer sich klüger als die Hauptfigur fühlen darf, und gerade durch seinen Wissensvorsprung — „Tu das nicht, Kasper!“ — zum Lachen bringt. Der Zuschauer oder Leser erhebt sich über die Figur und sieht die Blindheit des Charakters gegenüber seiner eigenen Grenzen und Fehler und darf über die Figur lachen. Gerade weil wir wissen, was kommen wird, lachen wir schon, bevor es eintritt.

Wie also sieht dieselbe Szene aus in Mystery, Suspense und dramatic irony?


Gehen wir einmal eine Beispielszene durch, wenden wir die 3 Spannungstechniken an und schauen wie sie dieselbe Szene anders wirken lassen.
Stellen wir uns vor, wir haben als Hauptfigur einen Polizisten, der zu einem Einsatzort gerufen wird, einem großen Haus bei Nacht, in dem sich ein Axtmörder befinden soll.
Der Polizist ist gewarnt und betritt vorsichtig den Flur, von dem rechts und links viele Türen abzweigen.

Beispiel Mystery
Mit der Spannungstechnik Mystery würden wir zeigen, wie die Kamera dem Polizisten folgt, ganz nah hinter ihm oder über seine Schulter schauend. Wir sehen, wie er vorsichtig den Flur betritt, lauscht, ob er etwas hört, seine Taschenlampe auf eine offenstehende Tür und die Schwärze dahinter richtet.  Auf dem Boden vor der offenen Tür sehen wir eine Blutspur, die in das dahinterliegende Zimmer führt. Wir vermuten, der Axtmörder befindet sich dort, daher schlägt unser Herz schneller, als der Polizist sich der Tür nähert. Er richtet seine Waffe auf die Türöffnung und ruft: “Kommen Sie heraus, ich weiß, dass Sie da drin sind!“ Aber während er das noch tut, schleicht er leise am Türrahmen vorbei, er betritt gar nicht das Zimmer, sondern ein anderes schräg gegenüber. Er duckt sich, legt an und erschießt den Axtmörder, der sich im Wandschrank versteckt hatte.
Als seine Kollegen kommen um die Leiche abzuholen fragen sie ihn: “Woher haben Sie gewusst, wo der Mörder sich versteckt?“ Und unser Held antwortet: „Ich wusste sofort, dass er mir eine Falle stellen wollte, als ich sah, dass das auf dem Boden Ketchup war und kein Blut.“

Beispiel Suspense
Mit der Spannungstechnik Suspense würden wir ebenfalls zeigen, wie die Kamera dem Polizisten folgt, ganz nah hinter ihm oder über seine Schulter schauend, vielleicht sogar mit einer wackeligen Handkamera durch seine Augen. Wir sehen, wie er vorsichtig den Flur betritt, lauscht, hören seinen aufgeregten Atem. Der Schein seiner Taschenlampe huscht hin und her. Es gibt so viele Türen und der Axtmörder könnte überall sein. Nach und nach probiert der Polizist alle Klinken, aber die Türen sind verschlossen. Der Polizist nähert sich einer offenstehenden Tür und der Schwärze dahinter, die der Schein der Taschenlampe kaum durchdringt. Er richtet die Waffe auf das Zimmer und wird beim Eintreten prompt von einer schwarzen Gestalt attackiert, die mit einer Axt nach ihm schlägt. Ein Kampf entbrennt. Der Polizist kann mit Mühe und Not einen Schlag abwehren, seine Schläfe blutet, aber er schafft es, den Angreifer zu überwältigen. Dann ruft er seine Kollegen und lässt den bewusstlos geschlagenen Axtmörder verhaften.

Dramatic Irony
Mit der Spannungstechnik Dramatic Irony würden wir die Kamera dagegen vielleicht in dem Haus positionieren. Wir stehen hinter dem Axtmörder, sehen, wie er hinter der Tür lauert. Von seinem Blickwinkel aus verfolgen wir, wie der Polizist vorsichtig den Flur betritt. Vielleicht schneiden wir um auf den Blickwinkel der Polizisten, sehen, wie er die offenstehende Tür und die Blutspur entdeckt. Er zögert. Wir schneiden zurück auf den Axtmörder und sehen, wie er hinter der Tür seine Waffe zum Schlag bereit erhebt. Wir möchten dem Polizisten am liebsten zurufen, er solle nicht das Zimmer betreten. Aber natürlich tut er es. Es kommt zum Kampf, bei dem der Polizist schwer verletzt wird, aber am Ende kann er den Mörder überwältigen.

Dreimal dieselbe Szene, aber sie wirkt dreimal vollkommen unterschiedlich auf uns.
Welche gefällt dir am besten?

Zwar ist es theoretisch möglich, für jede Szene eine andere Spannungstechnik zu verwenden, aber besser ist es, sich auf eine als Stilmittel festzulegen und diese dann durch das gesamte Manuskript durchzubehalten. Letztendlich hängt es auch von der Erzählhaltung ab, welche Spannungstechnik überhaupt möglich ist und welche sich anbietet.

In jedem Fall beeinflusst es die Atmosphäre und den Erzählstil. Deswegen macht euch doch bei eurer nächsten Geschichte einmal Gedanken: Sollen eure Leser weniger wissen als die Hauptfigur, genauso viel oder gar mehr?

Oder achtet doch einfach mal darauf, womit eure Lieblingsautoren arbeiten und ob eure Lieblingsgeschichten in Mystery, Suspense oder Dramatic Irony geschrieben sind.


Freitag, 5. Mai 2017

Prologe und Epiloge in Romanen



Photo: @pexels.com cco-Lizenz

Was ist ein Prolog, und was ein Epilog und wie setze ich ihn wirksam ein?
Brauche ich überhaupt einen Prolog oder ist dieser nicht eher hinderlich, weil der (ungeduldige) Leser direkt zur Handlung kommen möchte?
Und welche Arten von Prologen gibt es überhaupt?
Meiner Einer hat sich das mal angesehen und fasst im Folgenden die verschiedenen Arten von Prologen und Epilogen für euch zusammen.

Zunächst einmal bedeutet Prolog so viel wie „Vorwort“(entsprechend bezeichnet der Epilog das Nachwort). Ein Prolog ist also eine Einleitung, Vorrede oder auch ein Vorwort für ein Drama oder einen Roman. Man kennt das aus der Sach- und Fachliteratur, dort gibt es auf den ersten Seiten sehr häufig ein Vorwort des Verfassers, der Zweck und Ziel seiner Ausführungen darlegen will, also grob, worum es in dem Sachbuch geht, welche Themen behandelt werden. Feste Regeln zu Form und Inhalt gelten dabei nicht. Im Drama dagegen wird der Prolog auf andere Weise eingesetzt. Aristoteles definiert den Prolog formal als den „ganzen Teil der Tragödie vor dem Einzug des Chors“; es werden Personen, Ort und Zeit der Handlung fixiert. Der Prolog dient also auch hier manchmal, ähnlich wie im Sachbuch, der Erläuterung der Intention des Stücks.
Beispiel aus Shakespeares „Romeo und Julia“:
Auftritt Chor
CHOR
Seht zwei Familien hier von gleichem Stand —
Verona sei der Ort für unser Stück,
wo alter Hass setzt neue Wut in Brand,
wo Bürgerkrieg ist höchstes Bürgerglück.
Zwei Elternpaare, Feinde voller Wut,
stoßen die Tochter und den Sohn zur Welt,
doch Kinderliebe stirbt in Kinderblut,
das ihren Eltern ihren Krieg vergällt.
Wie solche Liebe kommt und solcher Hass
so lange dauert, bis die Liebe geht,
wenn die Kinder tot sind: Das ist das,
was ihr auf unsrer Bühne heute seht.
Wenn ihr zwei Stunden zuseht unserm Spiel,
kann sein: Dann wisst ihr mehr; kann sein: Nicht viel.

Hier ist interessant zu sehen, dass der Chor (häufig ein einzelner Mann gekleidet als Herold) den Zuschauern eine Kurzzusammenfassung des Stückes gibt, wie ein Klappentext oder Teaser. Er nennt nicht nur den Hauptkonflikt und ihre Akteure (zwei verfeindete Familien, dessen Kinder sich ineinander verlieben), sondern nimmt sogar das Ende vorweg (die Kinder werden sterben.)
Lustig ist auch zu sehen, wie der Chor versucht, die Zuschauer zum Bleiben zu überreden (Wenn ihr zwei Stunden zuseht unserm Spiel), denn zu Shakespeares Zeiten war es nicht ungewöhnlich, dass die Zuschauer mitten während der Vorstellung das Theater verließen, wenn es ihnen nicht gefiel, und er gleichzeitig aber nicht verspricht, dass sie unbedingt etwas dabei lernen (kann sein: Dann wisst ihr mehr; kann sein: Nicht viel.). Hier zeigt sich ein leichtes Augenzwinkern des Meisters.

Ein Prolog kann also eine von der eigentlichen Handlung losgelöste Einleitung, wie ein Vorwort sein.

Er kann aber auch eine eigenständige Szene sein, die dem Stück vorangestellt ist, wie in GoethesFaust I“: dort geht der Teufel (Mephistopheles) eine Wette mit Gott ein, dass er es schafft, Faust vom rechten Weg abzuführen. Dies ist sowohl eine Vorwegnahme der Handlung als auch ein Rahmen, denn nun weiß der Zuschauer mehr, als die Hauptfigur Faust, und was es bedeutet, wenn Mephistopheles ihn besucht.
Ein Prolog ist also eine Einleitung, und schon früh haben Autoren unterschiedliche Verwendungen, um durch kluge Vorwegnahmen den Leser auf die Handlung vorzubereiten und den Spannungsbogen zu konstruieren. Im modernen Unterhaltungsroman haben findige Autoren diese Technik längst übernommen und es lohnt sich, sich einmal mit den verschiedenen Möglichkeiten auseinanderzusetzen.
Es gibt dabei vier Arten von möglichen Prologen:

1)      Auszug aus einer Chronik, einer Legende, einem Zeitungsartikel, einer Prophezeiung ect. (Häufig bei High Fantasy, aber auch bei Krimis/Thriller.)
2)      Eine Rahmenhandlung, die dann in einem Epilog wieder geschlossen werden muss. ( Im Rückblick aus der Sicht der Hauptfigur oder aus der Sicht einer ganz anderen Figur, die evtl. nicht einmal Teil der Haupthandlung ist).
3)      Teaser: ein Flashforward auf kommende Ereignisse, in Form einer Szene, die so später in der Handlung wieder vorkommt.
4)      Einstieg durch eine Vorgeschichte in Form einer Szene (häufig einer Actionszene), d.h. ein Stück Handlung, das vor der eigentlichen Romangeschichte spielt (und nicht unbedingt den Hauptcharakter enthält) oder eine Rückblende (auf die Hintergrundgeschichte des Helden)
5)      Eine Zusammenfassung der Ereignisse, die in den Vorgängerbänden geschehen sind (bei einer Serie oder einem Mehrteiler), bzw. eine Vorwegnahme der kommenden Ereignisse durch einen Allwissenden Erzähler oder einer Allwissenden Figur (wie des Chors im antiken Drama)

Sehen wir uns diese vier Arten von Prologen genauer an: 
 1.     Prolog in Form eines Auszuges, der dem Leser zusätzliche Informationen mitgeben soll. Dies kann z.B. bei Fantasyromanen eine Chronik des Landes sein, eine Prophezeiung, ein Zitat oder eine Legende.
Der Herr der Ringe beginnt z.B. mit dem berühmten vorangestellten Gedicht:

… ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden,
Ins Dunkel zu treiben, sie ewig zu binden
Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn

Welchen Zweck erfüllt dieses Gedicht, was macht es mit dem Leser?
Der Leser weiß nun, dass der Ring etwas Böses ist, lange bevor der Zauberer Gandalf auftaucht und den Ring sehen will. Der Leser weiß mehr, als die Hauptfigur (Frodo) und somit erhöht sich die Spannung.
(Der Herr der Ringe hat zusätzlich noch ein tatsächliches Vorwort, in dem der Autor etwas zur Entstehung und Absicht des Buches erzählt, aber das lassen wir hier mal außen vor.)

Das Fantasyepos Der Drachenbeinthron“ von Tad Williams beginnt mit einem Prolog, in dem uns der fiktive Morgenes Ercestres etwas über ein geheimnissvolles Buch, das von einem wahnsinnigen Priester geschrieben wurde, erzählt; und der Leser ahnt natürlich, dass dieses Buch wichtig für die Handlung sein wird, während die Hauptfigur, der Küchenjunge Simon, nicht einmal Ahnung von dessen Existenz hat. 
Im Prolog des SF-Romans „Der Wüstenplanet“ von Frank Herbert erfahren wir etwas über den Herrscher der Planeten, den Muad`dib, und dass dieser lange Jahre auf dem Wüstenplaneten gelebt hat, sowie weitere Daten und Fakten. Solche Prologe sollen den Leser in die komplexen Welten einführen und dem Leser einen Überblick verschaffen, damit er zu Beginn der Handlung (also im 1. Kapitel) bereits die wichtigsten Eckdaten zur Orientierung hat (das Jahr, in dem die Handlung spielt, evtl. vorangegangene Kriege oder Herrschaftsformen, Namen der Herrschenden Rasse oder Einführung wichtiger Kreaturen, Planeten, Technologien ect.) Diese Form der Einführung kann manche Leser langweilen und wird bisweilen von ihnen übersprungen; in jedem Fall sollte man zu viele geschichtliche Daten meiden und sich nur auf das Wichtigste beschränken und alles andere nach und nach in die Handlung einbringen.
In Krimis und Thrillern klärt oft ein Zeitungsbericht über die (bereits geschehenen) Verbrechen, die seit Wochen eine Stadt in Atem halten und im Liebesroman kann eine Einladung zu einer besonderen Veranstaltung oder ein Wettbewerb der Auslöser und der Rahmen für die Handlung sein, und in einem Prolog vorangestellt werden.

In jedem dieser Fälle dient der Prolog der Einführung und Orientierung in die Welt, baut Atmosphäre auf und gibt dem Leser Informationen an die Hand.

2.     Prolog in Form einer Rahmenhandlung: Manchmal blickt die Hauptfigur im Prolog in einer Rahmenhandlung als Rückblick auf seine eigene Geschichte zurück. Im Epilog kehrt man dann zu dieser Rahmenhandlung zurück. Stephen Kings Novelle „Die Leiche“ beginnt mit einem Prolog in dem die Gedanken der Hauptfigur dem Leser verraten: „ Ich war fast dreizehn, als ich zum ersten Mal einen Toten sah.“  Ein solcher Prolog kann durch die Vorwegname dessen, was geschehen wird, die Spannung erhöhen. Das klingt zunächst paradox, ist aber ein häufiges Stilmittel (siehe meinen Post zu "Dramatic Irony"). Die Rahmenhandlung kann aber auch eine Figur enthalten, die nicht die Hauptfigur ist, (siehe auch Artikel über Rahmenhandlungen). In jedem Fall dient diese Form des Prologs dazu, den Erzählton, die Atmosphäre und eine Andeutung, um was es bei dem Hauptkonflikt geht, zu etablieren. Der Leser soll in die Haupthandlung gelockt werden und wird durch den Rahmen neugierig gemacht.

3.   Prolog in Form eines Teasers: in einem Flashforward (einer Vorwegnahme) auf kommende Ereignisse wird der Leser mitten in die Handlung geworfen und stellt somit das Gegenteil des üblichen Prologes dar, der den Leser Informationen über Zeit, Ort und Handlung geben soll, denn hier wird der Leser ohne Vorkenntnisse direkt mitten in die Handlung hineingeworfen. Besonders häufig findet man diese Form des Prologs in Thrillern und Spannungsromanen, aber auch im Jugendbuch wird der Handlung häufig ein Kapitel als Prolog vorangestellt, das eine Szene darstellt, die später im Buch wortwörtlich genauso geschehen wird (oder ein wenig mehr ausgearbeitet genauso passieren wird). Mary HigginsClark benutzt diese Technik oft, aber auch in Stephanie Meyers „Twilight“ kommt dieses zum Einsatz. Die Szene stellt immer einen Höhepunkt dar und zeigt die Hauptfigur in großer Bedrängnis, häufig ist dies der  Showdown oder der 2. große Wendepunkt. Dabei wird die Szene nicht in komplett zu Ende erzählt, sondern ein Geheimnis daraus gemacht, wie der Held aus dieser unmöglichen Situation entkommen kann. Die Spannung entsteht aber vor allem daraus, dass der Leser sich fragt, wie um Himmels Willen der Held überhaupt in diese missliche Lage geraten konnte und wird diese Frage die ganze Zeit im Hinterkopf behalten, deswegen ist diese Art von Prolog sehr gut geeignet, um Spannungsromane aufzupeppen, die ansonsten einen eher ruhigen Einstieg in die Handlung hätten oder die viel Vorgeschichte aufbauen müssen, bis es zur Action kommt.

4.   Prolog als Einstieg durch eine Vorgeschichte: Dies ist ebenfalls ein Stück Handlung, ausgearbeitet wie eine Szene, die aber zeitlich vor der eigentlichen Romanhandlung spielt. Diese kann die Hauptfigur enthalten, wie z.B. in Harlen Cobens „Kein Sterbenswort“, die den Tag vor achtzehn Jahren beschreibt, an dem die Ehefrau der Hauptfigur spurlos an einem See verschwand. Die Szene kann aber auch aus der Sicht von jemand ganz anderem sein, z.B. wie in vielen Thrillern aus der Sicht des Opfers, das vor dem Mörder davon läuft (und am Ende des Prologes grausam ermordet wird), wie z.B. in Dean Koontz„Mitternacht“.
Manchmal enthalten Prologe Szenen, die zeitlich nicht vor der Romanhandlung liegen, aber an einem anderen Ort geschehen, die Figuren enthalten, die der Leser noch nicht kennt, und z.B. in Form von Dialogen stattfinden, in denen eine folgenschwere Entscheidung oder Abmachung getroffen wird. Z.B. beginnt „HarryPotter und der Halbblutprinz“ mit dem folgenschweren Unbrechbaren Schwur zwischen Snape und Narcissa Malfoy, bei dem Harry Potter nicht anwesend ist und von dem er nichts weiß.
In jedem Fall erfüllt diese Art von Prolog einen Zweck: Sie gibt dem Leser eine Information mit, so dass dieser mehr weiß als die Hauptfigur (manchmal) oder mehr weiß, als die aktuelle Handlung preisgibt, und erhöht somit die Spannung, denn der Leser ist nun ganz wild darauf, herauszufinden, wie diese Szene in die Gesamthandlung hineinpasst und welche Auswirkungen es auf die Hauptfigur hat. Es ist ein Werkzeug, das dem Leser ermöglicht, Fäden in der Hand zu halten und diese später miteinander zu verknüpfen. In Krimis oder Thrillern erfährt man meist schon etwas über den Täter (wenn auch nicht immer gleich seine Identität) und in Fantasyromanen erfährt man häufig vom Auserwähltsein und Aufgabe des Helden und somit über das Schicksal des Protagonisten. 

Diese Prologe sind klug ausgewählte Bestandteile des Spannungsbogens und können nicht gestrichen oder übersprungen werden.
5. Prolog als eine Zusammenfassung der Ereignisse, gibt es manchmal bei Büchern, die zu einer Reihe oder Serie gehören, um den Leser davon in Kenntnis zu setzen, was in den Vorgängerbänden geschehen ist (siehe auch die Artikel über das Schreiben von Serien). Oder der Prolog enthält eine Vorwegnahme der kommenden Ereignisse durch einen Allwissenden Erzähler oder einer Allwissenden Figur, wie z.B. in der „Reihe betrüblicher Ereignisse“ bei denen uns der Erzähler Lemony Snicket mitteilt: „Wenn du gern Geschichten mit einem Happy End liest, solltest du lieber zu einem anderen Buch greifen. In diesem gibt es kein Happy End, auch keinen glücklichen Anfang und nur wenig Erfreuliches mittendrin (…) Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber so war es nun einmal.“ Oder Prof H. Alcofrisbas, der Erzähler in „Hugo Cabret“ (der in der Handlung nicht wieder vorkommt): „Die Geschichte, die ich euch gleich erzählen werde, spielt im Jahr 1931 unter den Dächern von Paris. Dort werdet ihr einem Jungen mit dem Namen Hugo Cabret begegnen, der einmal, vor langer Zeit, eine geheimnisvolle Zeichnung entdeckte, die sein Leben für immer veränderte.“ Diese Form der Vorwegnahmen erinnern an den Chor im antiken Drama (erinnert euch an Romeo & Julia), er erfüllt dieselbe Funktion und erzielt damals wie heute dieselbe Wirkung.

Dies soll nur ein Überblick sein, was mit einem Prolog alles möglich ist, es gibt bestimmt noch viele weitere Beispiele von Autoren, die Prologe clever eingesetzt haben, um den Leser zu manipulieren und den Spannungsbogen zu erhöhen.

Der Epilog

Wenn der Prolog die Vorgeschichte eines Romans darstellt, so ist der Epilog eine Nachgeschichte, die nach dem eigentlichen Schluss angehängt wird.
Eigentlich sollten alle Handlungsstränge spätestens im letzten Kapitel aufgelöst worden sein, und die Geschichte zu einem befriedigenden Abschluss gefunden haben.  Aber manchmal gibt es eben doch noch etwas zu erzählen, manchmal braucht es ein wenig länger, um alle Nebenhandlungen zu Ende zu führen und die ganze emotionale Wandlung der Hauptfigur zu vollenden. So spielen Epiloge häufig Monate oder gar Jahre später und geben einen Ausblick, was in der Zukunft aus den Charakteren geworden ist, oder es zeigt, wie der Held gar wieder zu neuen Ufern aufbricht (und deutet somit einen Nachfolgeband an).
Im Epilog kann auch alles, was im letzten Kapitel erreicht wurde, noch einmal in Frage gestellt werden, und das eigentliche Happy End kann in ein offenes oder zumindest ambivalentes Ende umgewandelt werden, z.B. taucht der totgeglaubte Gegenspieler doch wieder auf.
Wenn im Prolog eine Rahmenhandlung eröffnet wurde, so wird natürlich zu dieser im Epilog zurückgekehrt und ein Abschluss gefunden.
Manchmal lässt man im Epilog auch nochmal eine Figur zu Wort kommen, die über das Geschehene reflektiert und sich über das Thema äußert, sozusagen die „Moral von der Geschicht`“.

Ob man einen Prolog oder einen Epilog in seiner Geschichte haben will, ist Geschmackssache und hängt von der Geschichte und dem Genre ab.

In jedem Fall sind es aber wirkungsvolle Instrumente, die, wenn sie gut eingesetzt werden, den Spannungsbogen erhöhen oder der ganzen Geschichte ihre Würze geben können.
Es soll zwar Leser (und angeblich auch Lektoren) geben, die keine Prologe oder Epiloge mögen — letztendlich ist das aber Geschmackssache und es gibt in der Literatur sehr viele Beispiele von gut gemachten und wirkungsvollen Prologen und Epilogen.
Alles ist, wie immer, eine Frage der Umsetzung.
Und nun habt ihr ja ein gutes neues Werkzeug an der Hand, um euch einmal an dieser Technik auszuprobieren.

Kennt ihr ein Buch, das einen Prolog enthält und dass ihr euch ohne nicht vorstellen könnt?

Das Literaturkaninchen freut sich über tolle Beispiele in den Kommentaren!