Freitag, 5. Mai 2017

Prologe und Epiloge in Romanen



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Was ist ein Prolog, und was ein Epilog und wie setze ich ihn wirksam ein?
Brauche ich überhaupt einen Prolog oder ist dieser nicht eher hinderlich, weil der (ungeduldige) Leser direkt zur Handlung kommen möchte?
Und welche Arten von Prologen gibt es überhaupt?
Meiner Einer hat sich das mal angesehen und fasst im Folgenden die verschiedenen Arten von Prologen und Epilogen für euch zusammen.

Zunächst einmal bedeutet Prolog so viel wie „Vorwort“(entsprechend bezeichnet der Epilog das Nachwort). Ein Prolog ist also eine Einleitung, Vorrede oder auch ein Vorwort für ein Drama oder einen Roman. Man kennt das aus der Sach- und Fachliteratur, dort gibt es auf den ersten Seiten sehr häufig ein Vorwort des Verfassers, der Zweck und Ziel seiner Ausführungen darlegen will, also grob, worum es in dem Sachbuch geht, welche Themen behandelt werden. Feste Regeln zu Form und Inhalt gelten dabei nicht. Im Drama dagegen wird der Prolog auf andere Weise eingesetzt. Aristoteles definiert den Prolog formal als den „ganzen Teil der Tragödie vor dem Einzug des Chors“; es werden Personen, Ort und Zeit der Handlung fixiert. Der Prolog dient also auch hier manchmal, ähnlich wie im Sachbuch, der Erläuterung der Intention des Stücks.
Beispiel aus Shakespeares „Romeo und Julia“:
Auftritt Chor
CHOR
Seht zwei Familien hier von gleichem Stand —
Verona sei der Ort für unser Stück,
wo alter Hass setzt neue Wut in Brand,
wo Bürgerkrieg ist höchstes Bürgerglück.
Zwei Elternpaare, Feinde voller Wut,
stoßen die Tochter und den Sohn zur Welt,
doch Kinderliebe stirbt in Kinderblut,
das ihren Eltern ihren Krieg vergällt.
Wie solche Liebe kommt und solcher Hass
so lange dauert, bis die Liebe geht,
wenn die Kinder tot sind: Das ist das,
was ihr auf unsrer Bühne heute seht.
Wenn ihr zwei Stunden zuseht unserm Spiel,
kann sein: Dann wisst ihr mehr; kann sein: Nicht viel.

Hier ist interessant zu sehen, dass der Chor (häufig ein einzelner Mann gekleidet als Herold) den Zuschauern eine Kurzzusammenfassung des Stückes gibt, wie ein Klappentext oder Teaser. Er nennt nicht nur den Hauptkonflikt und ihre Akteure (zwei verfeindete Familien, dessen Kinder sich ineinander verlieben), sondern nimmt sogar das Ende vorweg (die Kinder werden sterben.)
Lustig ist auch zu sehen, wie der Chor versucht, die Zuschauer zum Bleiben zu überreden (Wenn ihr zwei Stunden zuseht unserm Spiel), denn zu Shakespeares Zeiten war es nicht ungewöhnlich, dass die Zuschauer mitten während der Vorstellung das Theater verließen, wenn es ihnen nicht gefiel, und er gleichzeitig aber nicht verspricht, dass sie unbedingt etwas dabei lernen (kann sein: Dann wisst ihr mehr; kann sein: Nicht viel.). Hier zeigt sich ein leichtes Augenzwinkern des Meisters.

Ein Prolog kann also eine von der eigentlichen Handlung losgelöste Einleitung, wie ein Vorwort sein.

Er kann aber auch eine eigenständige Szene sein, die dem Stück vorangestellt ist, wie in GoethesFaust I“: dort geht der Teufel (Mephistopheles) eine Wette mit Gott ein, dass er es schafft, Faust vom rechten Weg abzuführen. Dies ist sowohl eine Vorwegnahme der Handlung als auch ein Rahmen, denn nun weiß der Zuschauer mehr, als die Hauptfigur Faust, und was es bedeutet, wenn Mephistopheles ihn besucht.
Ein Prolog ist also eine Einleitung, und schon früh haben Autoren unterschiedliche Verwendungen, um durch kluge Vorwegnahmen den Leser auf die Handlung vorzubereiten und den Spannungsbogen zu konstruieren. Im modernen Unterhaltungsroman haben findige Autoren diese Technik längst übernommen und es lohnt sich, sich einmal mit den verschiedenen Möglichkeiten auseinanderzusetzen.
Es gibt dabei vier Arten von möglichen Prologen:

1)      Auszug aus einer Chronik, einer Legende, einem Zeitungsartikel, einer Prophezeiung ect. (Häufig bei High Fantasy, aber auch bei Krimis/Thriller.)
2)      Eine Rahmenhandlung, die dann in einem Epilog wieder geschlossen werden muss. ( Im Rückblick aus der Sicht der Hauptfigur oder aus der Sicht einer ganz anderen Figur, die evtl. nicht einmal Teil der Haupthandlung ist).
3)      Teaser: ein Flashforward auf kommende Ereignisse, in Form einer Szene, die so später in der Handlung wieder vorkommt.
4)      Einstieg durch eine Vorgeschichte in Form einer Szene (häufig einer Actionszene), d.h. ein Stück Handlung, das vor der eigentlichen Romangeschichte spielt (und nicht unbedingt den Hauptcharakter enthält) oder eine Rückblende (auf die Hintergrundgeschichte des Helden)
5)      Eine Zusammenfassung der Ereignisse, die in den Vorgängerbänden geschehen sind (bei einer Serie oder einem Mehrteiler), bzw. eine Vorwegnahme der kommenden Ereignisse durch einen Allwissenden Erzähler oder einer Allwissenden Figur (wie des Chors im antiken Drama)

Sehen wir uns diese vier Arten von Prologen genauer an: 
 1.     Prolog in Form eines Auszuges, der dem Leser zusätzliche Informationen mitgeben soll. Dies kann z.B. bei Fantasyromanen eine Chronik des Landes sein, eine Prophezeiung, ein Zitat oder eine Legende.
Der Herr der Ringe beginnt z.B. mit dem berühmten vorangestellten Gedicht:

… ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden,
Ins Dunkel zu treiben, sie ewig zu binden
Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn

Welchen Zweck erfüllt dieses Gedicht, was macht es mit dem Leser?
Der Leser weiß nun, dass der Ring etwas Böses ist, lange bevor der Zauberer Gandalf auftaucht und den Ring sehen will. Der Leser weiß mehr, als die Hauptfigur (Frodo) und somit erhöht sich die Spannung.
(Der Herr der Ringe hat zusätzlich noch ein tatsächliches Vorwort, in dem der Autor etwas zur Entstehung und Absicht des Buches erzählt, aber das lassen wir hier mal außen vor.)

Das Fantasyepos Der Drachenbeinthron“ von Tad Williams beginnt mit einem Prolog, in dem uns der fiktive Morgenes Ercestres etwas über ein geheimnissvolles Buch, das von einem wahnsinnigen Priester geschrieben wurde, erzählt; und der Leser ahnt natürlich, dass dieses Buch wichtig für die Handlung sein wird, während die Hauptfigur, der Küchenjunge Simon, nicht einmal Ahnung von dessen Existenz hat. 
Im Prolog des SF-Romans „Der Wüstenplanet“ von Frank Herbert erfahren wir etwas über den Herrscher der Planeten, den Muad`dib, und dass dieser lange Jahre auf dem Wüstenplaneten gelebt hat, sowie weitere Daten und Fakten. Solche Prologe sollen den Leser in die komplexen Welten einführen und dem Leser einen Überblick verschaffen, damit er zu Beginn der Handlung (also im 1. Kapitel) bereits die wichtigsten Eckdaten zur Orientierung hat (das Jahr, in dem die Handlung spielt, evtl. vorangegangene Kriege oder Herrschaftsformen, Namen der Herrschenden Rasse oder Einführung wichtiger Kreaturen, Planeten, Technologien ect.) Diese Form der Einführung kann manche Leser langweilen und wird bisweilen von ihnen übersprungen; in jedem Fall sollte man zu viele geschichtliche Daten meiden und sich nur auf das Wichtigste beschränken und alles andere nach und nach in die Handlung einbringen.
In Krimis und Thrillern klärt oft ein Zeitungsbericht über die (bereits geschehenen) Verbrechen, die seit Wochen eine Stadt in Atem halten und im Liebesroman kann eine Einladung zu einer besonderen Veranstaltung oder ein Wettbewerb der Auslöser und der Rahmen für die Handlung sein, und in einem Prolog vorangestellt werden.

In jedem dieser Fälle dient der Prolog der Einführung und Orientierung in die Welt, baut Atmosphäre auf und gibt dem Leser Informationen an die Hand.

2.     Prolog in Form einer Rahmenhandlung: Manchmal blickt die Hauptfigur im Prolog in einer Rahmenhandlung als Rückblick auf seine eigene Geschichte zurück. Im Epilog kehrt man dann zu dieser Rahmenhandlung zurück. Stephen Kings Novelle „Die Leiche“ beginnt mit einem Prolog in dem die Gedanken der Hauptfigur dem Leser verraten: „ Ich war fast dreizehn, als ich zum ersten Mal einen Toten sah.“  Ein solcher Prolog kann durch die Vorwegname dessen, was geschehen wird, die Spannung erhöhen. Das klingt zunächst paradox, ist aber ein häufiges Stilmittel (siehe meinen Post zu "Dramatic Irony"). Die Rahmenhandlung kann aber auch eine Figur enthalten, die nicht die Hauptfigur ist, (siehe auch Artikel über Rahmenhandlungen). In jedem Fall dient diese Form des Prologs dazu, den Erzählton, die Atmosphäre und eine Andeutung, um was es bei dem Hauptkonflikt geht, zu etablieren. Der Leser soll in die Haupthandlung gelockt werden und wird durch den Rahmen neugierig gemacht.

3.   Prolog in Form eines Teasers: in einem Flashforward (einer Vorwegnahme) auf kommende Ereignisse wird der Leser mitten in die Handlung geworfen und stellt somit das Gegenteil des üblichen Prologes dar, der den Leser Informationen über Zeit, Ort und Handlung geben soll, denn hier wird der Leser ohne Vorkenntnisse direkt mitten in die Handlung hineingeworfen. Besonders häufig findet man diese Form des Prologs in Thrillern und Spannungsromanen, aber auch im Jugendbuch wird der Handlung häufig ein Kapitel als Prolog vorangestellt, das eine Szene darstellt, die später im Buch wortwörtlich genauso geschehen wird (oder ein wenig mehr ausgearbeitet genauso passieren wird). Mary HigginsClark benutzt diese Technik oft, aber auch in Stephanie Meyers „Twilight“ kommt dieses zum Einsatz. Die Szene stellt immer einen Höhepunkt dar und zeigt die Hauptfigur in großer Bedrängnis, häufig ist dies der  Showdown oder der 2. große Wendepunkt. Dabei wird die Szene nicht in komplett zu Ende erzählt, sondern ein Geheimnis daraus gemacht, wie der Held aus dieser unmöglichen Situation entkommen kann. Die Spannung entsteht aber vor allem daraus, dass der Leser sich fragt, wie um Himmels Willen der Held überhaupt in diese missliche Lage geraten konnte und wird diese Frage die ganze Zeit im Hinterkopf behalten, deswegen ist diese Art von Prolog sehr gut geeignet, um Spannungsromane aufzupeppen, die ansonsten einen eher ruhigen Einstieg in die Handlung hätten oder die viel Vorgeschichte aufbauen müssen, bis es zur Action kommt.

4.   Prolog als Einstieg durch eine Vorgeschichte: Dies ist ebenfalls ein Stück Handlung, ausgearbeitet wie eine Szene, die aber zeitlich vor der eigentlichen Romanhandlung spielt. Diese kann die Hauptfigur enthalten, wie z.B. in Harlen Cobens „Kein Sterbenswort“, die den Tag vor achtzehn Jahren beschreibt, an dem die Ehefrau der Hauptfigur spurlos an einem See verschwand. Die Szene kann aber auch aus der Sicht von jemand ganz anderem sein, z.B. wie in vielen Thrillern aus der Sicht des Opfers, das vor dem Mörder davon läuft (und am Ende des Prologes grausam ermordet wird), wie z.B. in Dean Koontz„Mitternacht“.
Manchmal enthalten Prologe Szenen, die zeitlich nicht vor der Romanhandlung liegen, aber an einem anderen Ort geschehen, die Figuren enthalten, die der Leser noch nicht kennt, und z.B. in Form von Dialogen stattfinden, in denen eine folgenschwere Entscheidung oder Abmachung getroffen wird. Z.B. beginnt „HarryPotter und der Halbblutprinz“ mit dem folgenschweren Unbrechbaren Schwur zwischen Snape und Narcissa Malfoy, bei dem Harry Potter nicht anwesend ist und von dem er nichts weiß.
In jedem Fall erfüllt diese Art von Prolog einen Zweck: Sie gibt dem Leser eine Information mit, so dass dieser mehr weiß als die Hauptfigur (manchmal) oder mehr weiß, als die aktuelle Handlung preisgibt, und erhöht somit die Spannung, denn der Leser ist nun ganz wild darauf, herauszufinden, wie diese Szene in die Gesamthandlung hineinpasst und welche Auswirkungen es auf die Hauptfigur hat. Es ist ein Werkzeug, das dem Leser ermöglicht, Fäden in der Hand zu halten und diese später miteinander zu verknüpfen. In Krimis oder Thrillern erfährt man meist schon etwas über den Täter (wenn auch nicht immer gleich seine Identität) und in Fantasyromanen erfährt man häufig vom Auserwähltsein und Aufgabe des Helden und somit über das Schicksal des Protagonisten. 

Diese Prologe sind klug ausgewählte Bestandteile des Spannungsbogens und können nicht gestrichen oder übersprungen werden.
5. Prolog als eine Zusammenfassung der Ereignisse, gibt es manchmal bei Büchern, die zu einer Reihe oder Serie gehören, um den Leser davon in Kenntnis zu setzen, was in den Vorgängerbänden geschehen ist (siehe auch die Artikel über das Schreiben von Serien). Oder der Prolog enthält eine Vorwegnahme der kommenden Ereignisse durch einen Allwissenden Erzähler oder einer Allwissenden Figur, wie z.B. in der „Reihe betrüblicher Ereignisse“ bei denen uns der Erzähler Lemony Snicket mitteilt: „Wenn du gern Geschichten mit einem Happy End liest, solltest du lieber zu einem anderen Buch greifen. In diesem gibt es kein Happy End, auch keinen glücklichen Anfang und nur wenig Erfreuliches mittendrin (…) Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber so war es nun einmal.“ Oder Prof H. Alcofrisbas, der Erzähler in „Hugo Cabret“ (der in der Handlung nicht wieder vorkommt): „Die Geschichte, die ich euch gleich erzählen werde, spielt im Jahr 1931 unter den Dächern von Paris. Dort werdet ihr einem Jungen mit dem Namen Hugo Cabret begegnen, der einmal, vor langer Zeit, eine geheimnisvolle Zeichnung entdeckte, die sein Leben für immer veränderte.“ Diese Form der Vorwegnahmen erinnern an den Chor im antiken Drama (erinnert euch an Romeo & Julia), er erfüllt dieselbe Funktion und erzielt damals wie heute dieselbe Wirkung.

Dies soll nur ein Überblick sein, was mit einem Prolog alles möglich ist, es gibt bestimmt noch viele weitere Beispiele von Autoren, die Prologe clever eingesetzt haben, um den Leser zu manipulieren und den Spannungsbogen zu erhöhen.

Der Epilog

Wenn der Prolog die Vorgeschichte eines Romans darstellt, so ist der Epilog eine Nachgeschichte, die nach dem eigentlichen Schluss angehängt wird.
Eigentlich sollten alle Handlungsstränge spätestens im letzten Kapitel aufgelöst worden sein, und die Geschichte zu einem befriedigenden Abschluss gefunden haben.  Aber manchmal gibt es eben doch noch etwas zu erzählen, manchmal braucht es ein wenig länger, um alle Nebenhandlungen zu Ende zu führen und die ganze emotionale Wandlung der Hauptfigur zu vollenden. So spielen Epiloge häufig Monate oder gar Jahre später und geben einen Ausblick, was in der Zukunft aus den Charakteren geworden ist, oder es zeigt, wie der Held gar wieder zu neuen Ufern aufbricht (und deutet somit einen Nachfolgeband an).
Im Epilog kann auch alles, was im letzten Kapitel erreicht wurde, noch einmal in Frage gestellt werden, und das eigentliche Happy End kann in ein offenes oder zumindest ambivalentes Ende umgewandelt werden, z.B. taucht der totgeglaubte Gegenspieler doch wieder auf.
Wenn im Prolog eine Rahmenhandlung eröffnet wurde, so wird natürlich zu dieser im Epilog zurückgekehrt und ein Abschluss gefunden.
Manchmal lässt man im Epilog auch nochmal eine Figur zu Wort kommen, die über das Geschehene reflektiert und sich über das Thema äußert, sozusagen die „Moral von der Geschicht`“.

Ob man einen Prolog oder einen Epilog in seiner Geschichte haben will, ist Geschmackssache und hängt von der Geschichte und dem Genre ab.

In jedem Fall sind es aber wirkungsvolle Instrumente, die, wenn sie gut eingesetzt werden, den Spannungsbogen erhöhen oder der ganzen Geschichte ihre Würze geben können.
Es soll zwar Leser (und angeblich auch Lektoren) geben, die keine Prologe oder Epiloge mögen — letztendlich ist das aber Geschmackssache und es gibt in der Literatur sehr viele Beispiele von gut gemachten und wirkungsvollen Prologen und Epilogen.
Alles ist, wie immer, eine Frage der Umsetzung.
Und nun habt ihr ja ein gutes neues Werkzeug an der Hand, um euch einmal an dieser Technik auszuprobieren.

Kennt ihr ein Buch, das einen Prolog enthält und dass ihr euch ohne nicht vorstellen könnt?

Das Literaturkaninchen freut sich über tolle Beispiele in den Kommentaren!